Wandeltheater: Pogrom 80

Wandeltheater: Pogrom 80

Eindrucksvolles Theater gegen Ausgrenzung, Rassismus und Gewalt

 

Ottensoos – In der übervollen St.Veit-Kirche konnten die Zuschauer historisch verbriefte Szenen damaliger Entehrung und Vernichtung und damit Mechanismen der Ausgrenzung und antisemitischer Strömungen erleben. Die Musik durch Sheynhoven setzte dazu den perfekten musikalischen Rahmen. Die Todsünden, die von Vera Kessel (Wollust), Johannes Figel (Zorn/Völlerei), Hans-Peter Schmidt (Neid), Jürgen Salzmann (Habgier) und Candid Depenheuer (Hochmut) sarkastisch und kichernd dargestellt wurden, sangen langsam und leise steigernd „An allem sind die Juden schuld“ von Friedrich Holländer, das er auf die Melodie der „Habanera“ aus Carmen in sarkastischer Anlehnung an Streichers „Die Juden sind unser Unglück“ gedichtet hat.  Anton Dietzfelbinger, der Urenkel des wehrhaften Pfarrers Wilhelm Dietzfelbinger, unterbrach den  antisemitischen Gesang, weil „die Juden [ja] keinesfalls an irgendetwas „schuld“ gewesen seien, sondern immer nur der Sündenbock“. Anton übernimmt in dieser Inszenierung von Martina Switalski die Rolle des jugendlichen Kritikers, der an seiner Familiengeschichte interessiert ist, aber auch die Todsünden kritisiert. Tatsächlich steht der aufrechte Pfarrer Dietzfelbinger im Mittelpunkt des Stücks. Sehr überzeugend spielt Stefan Candid Depenheuer die Rolle des NSDAP-Ortsgruppenleiters Hirschmann , der Pfarrer Wilhelm Dietzfelbinger (Jürgen Salzmann) überreden will zu einer Streicher-Veranstaltung zu gehen.  Dietzfelbinger, der durch Jürgen Salzmann schauspielerisch gekonnt in Szene gesetzt wurde, verweigerte sowohl politische Anteilnahme als auch die Niederlegung eines Gedenkkranzes mit Hakenkreuzfahne an den Volkstrauertagen.

Besonders überzeugend gelang Vera Kessel der Wechsel von der zynischen Wollust zur fidelen, kraftspenden Pfarrersfrau Magda Dietzfelbinger, die ihrem verzagten Mann ermutigt gegen die Verleumdungen des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“ vorzugehen. Streicher hatte Dietzfelbinger als „Judenfreund“ denunziert, nur weil der Pfarrer der Hochzeitseinladung seines Nachbarn Sommerich gefolgt war. Für die couragierte Pfarrfrau „ist Judenpfarrer ein Ehrentitel. Ein Zeichen seiner Güte“.  Tiefe Verzweiflung verkörpern Arnold Sommerich (Stefan Candid Depenheuer) und sein Vater Philipp.  Johannes Figel kapituliert sichtbar vor dem Fluchtplan seines Sohnes. Er hat keine Kraft mehr sich den Verleumdungen gegen die Juden zu widersetzen. Die letzte Umarmung ist eine Umarmung in den Tod. Arnold wurde in Buchenwald ermordet.

Was war am 9. November 1938 in Ottensoos los? Von einer furiosen Kakophonie der Musiker von Sheynhoven unterstützt, schrien, brüllen und trampelten die Todsünden unter das erschrockene Publikum. Sie sprachen von Gewalt, Plünderung und Zerstörung. Die Juden wurden am Dorfbrunnen zusammengetrieben und ins Schulhaus gesperrt. In der Synagoge rissen die SA-Leute den Kronleuchter, zerschlugen die Scheiben des Gotteshauses und warfen Gebetsstühle und heilige Gegenstände in den Staub der Gewalt.

Diese Nacht war der Auftakt der Vernichtung. In Ottensoos wurden 37 Menschen jüdischen Glaubens ermordet. Bei der Lesung der Namen erhob sich das sichtbar berührte Publikum im Kirchenschiff, bevor die Darsteller mit einem persönlichen Statement zu heutigen Tendenzen von Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Ausgrenzung das furiose Spiel beendeten.

Die Besucher zollten der eindrucksvollen Vorstellung einen gebührenden, langen Applaus. Bürgermeister Klaus Falk dankte der Regisseurin Martina Switalski, den Darstellern, Sheynhoven und allen Mitwirkenden für das beeindruckende Schauspiel. „Es war großartig!“ Betroffenheit, so Falk, habe das Schauspiel geweckt. Es sei wichtig inne zu halten, nachzudenken, was vor 80 Jahren geschehen sei, denn auch heute gibt es Populismus, verächtlich machende Rhetorik, Ausgrenzung, Neid und Hass . Wir müssen gemeinsam gut in den Alltag starten und Strömungen entgegenwirken, gemeinsam geben Ausgrenzung und Angst kämpfen.

Ottensoos bildet den Abschluss des historischen Wandeltheaters von Forth über Schnaittach nach Hüttenbach. Die Mitglieder vom Freundeskreis „Ehemalige Synagoge Ottensoos“ mit ihrem Vorsitzenden Hans-Peter Schmidt boten anschließend bei Imbiss und Getränken den passenden Rahmen  für Gespräche, um das Bewusstsein zu schaffen und zu schärfen, damit es nie wieder zu Wiederholungen komme. Es sei ein Brückenschlag in die heutige politische Situation, so eine Besucherin, denn was hätten die Juden vom Rest der Welt erwartet? Es sei heute wichtiger denn je, gegen Rassismus und Gewalt vorzugehen. Wenn wir Ausgrenzung, Hass, Neid und Gewalt abwehren wollen, müssen wir gemeinsam handeln und leben, so der Tenor der Besucher.